TOSCA - Erzeugung von ThermO- und fluiddynamischen Stoffdaten für CH4/LOX Antriebe
Die Treibstoffkombination Sauerstoff/Methan wird seit mehreren Jahren intensive für zukünftige Raumfahrtanwendungen untersucht. Sie ist umweltfreundlicher als insbesondere lagerfähige Treibstoffe und bietet zudem technische und wirtschaftliche Vorteile. Für eine sichere und zuverlässige Anwendung sind jedoch noch eine Reihe technisch-wissenschaftlicher Fragen zu klären. Die Anwendungsfälle reichen vom Raumtransport über Lageregelungssysteme bis hin zu Langzeitmissionen.
Generell hat Methan im Vergleich zu anderen gängigen Raketentreibstoffen mehrere Vorteile. Verglichen mit Wasserstoff hat es zwar einen substantiell niedrigeren spezifischen Impuls, was jedoch durch die höhere Dichte und damit viel kleinere Tankmasse mehr als kompensiert wird. Zudem kann aufgrund der höheren Temperatur im Tank für Bedrückungs- und Spülungsaufgaben auf teures Helium verzichtet und stattdessen billiger Stickstoff verwendet. Höhere Dichte und Temperatur reduzieren zudem die Anforderungen an die Turbopumpe und Dichtungen. Verglichen mit hypergolen Treibstoffen ist Methan nicht nur nicht toxisch und deshalb viel leichter handhabbar, sondern weist auch einen höheren spezifischen Impuls auf, welcher auch bei Berücksichtigung der geringeren Dichte nicht vollends aufgezehrt wird. Gleiches gilt auch für längere Kohlenwasserstoffe, die zudem den Nachteil einer höheren Neigung zur Rußbildung aufweisen. Nicht zu vergessen ist die Tatsache, dass Methan ISRU-Potential (In-Situ Resource Utilization) besitzt. Auf einer Reihe von Objekten in unserem Sonnensystem (u. a. Mars, Titan, Uranus) wurde Methan gefunden. Es ist also grundsätzlich denkbar, mit einem Raumfahrzeug zu einem dieser Himmelskörper zu fliegen, eine wissenschaftliche Mission durchzuführen und gleichzeitig die Methan-Tanks wieder aufzufüllen, um zur Erde zurückzukehren.
Ein wesentlicher Vorteil der Verwendung von Methan als Raketentreibstoff sind die niedrigen Gestehungskosten. Dies gilt jedoch nur wenn verflüssigtes Erdgas (LNG) verwendet wird, welches grundsätzlich in zwei verschiedenen Versionen gehandelt wird. Eine als ‚rich LNG‘ bezeichnete Mischung mit bis zu 8% Äthan und einem Methangehalt von leicht unter 90% und eine als ‚lean LNG‘ bezeichnete Mischung mit einem Methangehalt von fast 98%. Grundsätzlich ist auch festzustellen, dass die Konzentration Mittelwerte sind und die Einzelwerte je nach Lieferant durchaus erheblich schwanken können. Zwar sind bessere Qualitäten kommerziell erhältlich, Methan 2.5 oder 3.5 mit 99.5% oder 99.95% Methan oder noch höhere Konzentrationen, die dann bereits Lebensmittelqualität haben und entsprechend teuer sind. Grundsätzlich ist es vorteilhaft den Kohlenstoffgehalt so gering wie möglich zu halten, da die Reduktion des Molekulargewichts der Verbrennungsprodukte zu einem höheren Wirkungsgrad führt.
Obwohl weltweit CH4/O2-Triebwerke entwickelt werden, gibt es derzeit noch kein flugfähiges Trägersystem, das diese Treibstoffe verwendet. Mit ein Grund dafür ist der nicht ausreichende Kenntnisstand über die spezifischen thermo- und fluiddynamischen Stoffdaten. Von besonderer Bedeutung sind deren Änderungen in der Umgebung der kritischen Zustände (Druck, Temperatur), da diese Designtreiber sowohl für das Kühlsystem als auch das Einspritzsystem sind. Auslegungswerkzeuge für diese Systeme müssen hinreichend validierte Modelle für Wärmeübergang und Treibstoffzerstäubung beinhalten, denn nur so können belastbare Designstudien durchgeführt werden. Obwohl Vorarbeiten in dieser Richtung bereits durchgeführt wurden, steht eine detaillierte Modellierung und deren Validierung durch hochwertige numerische Methoden (direkte numerische Simulation) und durch entsprechende Testdaten und dessen nachfolgende Industrialisierung, d.h. den Transfer eines wissenschaftlichen fundierten Berechnungswerkzeugs in ein industriell anwendbares Tool noch aus.
Das nationale Raumfahrtprogramm bildet die Kernziele der Raumfahrtstrategie der Bundesregierung ab. Dieses Vorhaben liefert einen Beitrag zu dieser Strategie durch die Etablierung von detaillierten Kenntnissen über die thermophysikalischen Eigenschaften von handelsüblichen Flüssiggas, die Überprüfung von klassischen Methoden der Turbulenzmodellierung und des Wärmeübergangs in additiv gefertigten und damit spezifisch rauhen Kühlkanälen sowie der Durchführung von Experimenten zur Bestimmung des Wärmeübergangs in derartigen Brennkammern.
Die in dem Vorhaben adressierten Problemstellungen habe zwei wesentliche Ziele. Erweiterung von Kompetenzen der TU München im Bereich der thermophysikalischen Ermittlung von Stoffdaten von handelsüblichen Flüssiggas (LNG) und der Modellierung von Wärmeübergang und Kühlung in Kühlkanälen mit deterministischen Rauigkeiten. Entwicklung von Modellen mit denen industriell genutzte Designtools additiv gefertigte Kühlkanäle ausgelegt werden können.
Auf diese Weise wird die ein aktiver Beitrag zur Umsetzung der deutschen Raumfahrtstrategie geleistet und der Erhalt und Ausbau deutscher Kernkompetenzen im Ariane Programm gefestigt. Verbesserte Designmethoden werden die Verwendung von 3D gedruckten Bauteilen der Europäischen Träger erleichtern und damit die deutsche Wettbewerbsfähigkeit, insbesondere Im Antriebsbereich, sichern.
WISSENSCHAFTLICHE UND TECHNISCHE ARBEITSZIELE DES VORHABENS
Die wissenschaftlichen und technischen Arbeitsziele des Vorhabens TOSCA zielen darauf ab, die an der TU München existierenden Kenntnisse und Kompetenzen auf dem Gebiet der Thermodynamik von kryogenen Treibstoffen, der Modellierung von Verbrennung, Wärmeübergang und Kühlung von Flüssigkeitsraketenmotoren weiter auszubauen. Darüber hinaus soll die Vorhersagegenauigkeit existierender kommerzieller Berechnungsverfahren zur Vorhersage des kühlmittelseitigen Wärmeübergangs verbessert werden. Dazu sind zuerst entsprechende Modelle zu entwickeln und durch hochwertige numerische Verfahren und Vergleich mit experimentellen Daten zu validieren. Die durchzuführenden Experimente dienen neben der Modellvalidierung zudem der Qualifikation von additiven Fertigungsverfahren sowie zu Fragestellungen der Lebensdauervorhersage derartig gefertigter Bauteile.
Konkret adressiert das technische Arbeitsprogramm des Vorhabens TOSCA die folgenden Technologiefelder und Zielsetzungen:
1. Bestimmung der thermo-physikalischen Parameter von handelsüblichen leichtem Flüssiggas (‘lean‘ LNG):
Geringen Fremdanteile in LNG wie Wasserstoff, Argon, Stickstoff, Kohldioxid, Wasser oder anderen Kohlenwasserstoffen wie Äthan, Propan und Butan haben zwar nur einen geringen Einfluss auf die Performance des Triebwerks, können jedoch für die Kühlung durchaus gravierende Konsequenzen haben. Diese Fremdanteile können für die Kühlung extrem wichtige thermo-physikalischen Eigenschaften wie Viskosität, Wärmeleitfähigkeit und insbesondere die Wärmekapazität vor allem in der näheren Umgebung des kritischen Zustands erheblich ändern. Problematisch ist weiterhin, dass sich die Lage des kritischen Zustands (Druck und Temperatur) in Abhängigkeit der Zusammensetzung sich auch verschiebt.
Ziel ist die Entwicklung von Korrelationen für Kühlkanäle, Einspritzelemente und Zündungen, die die Berechnung relevanter Stoffdaten für ‘lean LNG‘-Mischungen im nah-kritischen Druck- und Temperaturbereich erlaubt sowie der Aufbau einer entsprechenden mehrdimensionalen Datenbank.
2. Anpassung und Validierung von Berechnungsverfahren zur Vorhersage des kühlmittelseitigen Wärmeübergangs in mit LNG gekühlten Brennkammersegmenten:
Klassische kommerzielle Berechnungsverfahren zur Vorhersage des kühlmittelseitigen Wärmeübergangs sind im Allgemeinen hinreichend genau, um zuverlässige Kühlsysteme auszulegen. Dies gilt jedoch nicht mehr für Mischungen von Flüssigkeiten mit stark unterschiedlichen Stoffeigenschaften. Insbesondere im Bereich transkritischer Betriebsbedingen und für extrem hohe thermische Lasten in Kühlkanälen von Raketenbrennkammern ist die Vorhersagegenauigkeit nicht mehr gewährleistet. Ebenfalls ungeklärt ist zudem, inwieweit die durch additive Fertigungsverfahren kaum vermeidbare Erhöhung der Wandrauigkeit und dadurch erhöhte wandnahe Turbulenz durch klassische Wirbelviskositätsverfahren abgebildet werden können.
Ziel ist somit die Charakterisierung von Anwendungsgrenzen klassischer Berechnungsverfahren, und deren Verbesserung durch entsprechende Modellmodifikationen und Validierung.
3. Experimentelle Untersuchung von Wärmeübergang und Kühlung sowie Vergleich von konventionell und additiv gefertigten Brennkammersegmenten:
Die geplanten Brennkammertests in einen Brennkammerdruckbereich zwischen 40 – 80 bar dienen der Bestimmung des Wärmeübergangs von verschiedenen additiv gefertigten Brennkammersegmenten mit gezielten Wandrauigkeiten. Ziel ist weiterhin die Bestimmung des Druckverlusts in den Kühlkanälen, um die zu erwartende, verbesserte Kühlung unter Berücksichtigung des im Vergleich zu glatten Wänden erhöhten Druckverlusts besser bewerten zu können. Die gewonnenen Daten dienen der Erweiterung von Berechnungsverfahren für raue Kühlkanäle sowie zur Validierung von Modellen zur Lebensdauervorhersage.