Der größte Teil des gesamten Energieverbrauchs entfällt auf die Städte. Dabei fallen neben Energieverbräuchen für das produzierende Gewerbe insbesonders hohe Energiebedarfe für die Beheizung oder Kühlung von Gebäuden, die Mobilität (Transport und Logistik; Individualverkehr) und künstliche Beleuchtung an. Nutzenergie wird in Städten aber auch erzeugt; beispielsweise in lokalen Kraftwerken, durch die Nutzbarmachung von Prozessabwärme sowie durch Photovoltaikanlagen und Solarthermie. Sowohl Energieverbrauch als auch -erzeugung sind dabei sehr spezifisch vom Standort abhängig. Die Energieverteilung erfolgt durch komplexe und hierarchische Netzstrukturen, die sich über den gesamten städtischen Raum erstrecken. Raumbezogene Informationen und Verfahren spielen daher eine zentrale Rolle bei der Untersuchung und Weiterentwicklung der Energieversorgung der Städte.
Am Lehrstuhl für Geoinformatik wird in zahlreichen Projekten, Publikationen, Dissertationen und Dissertationsvorhaben, Lehrveranstaltungen und Abschlussarbeiten untersucht, welche spezifischen Anforderungen sich aus dem Themenfeld Energie an Geodaten, Datenmodelle und Geoinformationssysteme ergeben, und welche Beiträge die Geoinformatik und Geoinformationen dabei leisten können. Geodaten werden bisher schon regelmäßig als Quelldaten für energetische Analysen und Simulationen verwendet. Darüber hinaus bieten sich semantische 3D-Stadtmodelle, die die relevanten Objekte des urbanen Raums wie Gebäude, Straßen, Gewässer, Leitungen usw. Repräsentieren, als ideale Grundlage auch zur strukturierten Speicherung und Anreicherung u.a. von energetischen Informationen und Berechnungsergebnissen an. Die Modellierung, Speicherung und Simulation energetischer Eigenschaften spielen auch eine Rolle in dem Forschungsbereich Stadtsystemmodellierung und Smart Cities.
Forschungsfragen und -themen, die am Lehrstuhl untersucht werden sind unter anderem:
- Welche Anforderungen stellen energetische Simulationen und Analysen an Geoinformationen?
- Wie müssen Geoinformationen hinsichtlich ihrer Strukturierung (Modellierung) und Datenqualität beschaffen sein, damit sie in optimaler Weise für energetische Fragestellungen, Simulationen und Analysen verwendet werden können?
- Wie können bestehende Datenmodelle und Standards entsprechend erweitert werden?
- Inwieweit können Geoinformationssysteme und Geodatenbankmanagementsysteme zur Speicherung nicht nur der Geodaten sondern auch der damit assoziierten Energiedaten verwendet werden?
- Welche Veränderungen und neuen Konzepte müssen GIS hinzugefügt werden, damit sie vorgenannte Aufgaben bewältigen können?
- Wie können Sensoren wie z.B. Smart Meter, die die aktuellen Energieverbräuche in hoher zeitlicher Auflösung messen, mit Geoinformationen wie z. B. 3D-Gebäudemodelle integriert werden?
- Verbindung von Stocks/Flow-Netzwerkmodellen mit der topographischen, topologischen und funktionalen Modellierung von Leitungsnetzen
- Visualisierung energetischer Eigenschaften in 3D-Stadtmodellen durch 3D-kartographische Methoden
Ferner wird untersucht, wie die von amtlicher Seite bereitgestellten Geobasisdaten in ihren Strukturen sowie Inhalten weiterentwickelt und ergänzt werden müssen, um energetische Fragen besser beantworten zu können. Dazu wirkt der Lehrstuhl für Geoinformatik sowohl in Organen der internationalen Standardisierung wie dem Open Geospatial Consortium als auch der Standardisierung im nationalen Geoinformationswesen wie der AdV (Arbeitsgemeinschaft der Vermessungsverwaltungen der Länder der BRD) und der Geodateninfrastruktur Deutschland GDI-DE mit.
Das Lehrstuhl-Team hat zudem maßgeblich an der Konzeption und Erstellung des Leitfadens zum Thema „3D-GIS und Energie“ mitgewirkt. Der Leitfaden wird vom Runden Tisch GIS e.V. zum freien Download angeboten. Er ist dabei nicht als Lehrbuch konzipiert, sondern will als Handbuch die Phantasie von Planern und Entscheidern im Themenfeld Energie anregen, mit 3D-Geoinformationen neue Lösungswege für ihre Fragestellungen zu beschreiten und dabei von vorhandenen Erfahrungen zu profitieren. Insgesamt haben 60 Autoren ihr Wissen in diesem Leitfaden zusammen getragen. Wissenschaftler unter anderem von der Technischen Universität München (TUM), der Hochschule für Technik (HfT) Stuttgart und der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich berichten über ihre aktuellen anwendungsbezogenen Forschungen und werden ergänzt durch 18 Praxisbeispiele, in denen GIS-Anbieter und Energieversorger ihre entsprechenden Projekte vorstellen.
Solarpotenzialanalyse
Gebäudescharfe Schätzung solarer Energieproduktion
Am Lehrstuhl entwickeln wir seit dem Jahr 2014 Jahren Methoden zur Durchführung von Solarpotenzialanalysen auf großen semantischen 3D-Stadtmodellen. Dabei geht es unter anderem um die automatisierte Kalibrierung, Berechnungsperformanz sowie die Aggregation und Visualisierung der Ergebnisse auf verschiedenen Objektebenen. Wir untersuchen, wie eine Rückspielung der Ergebnisse auf die 3D-Objekte des Stadtmodells erfolgen kann.
Zur Durchführung von Solarpotenzialanalysen für Stadtteile und ganze Städte haben wir ein eigenes Softwarewerkzeug entwickelt. Es berechnet auf der Basis von 3D-Stadtmodellen in CityGML die solare Einstrahlungsenergie auf die enthaltenen Objekte und reichert die Berechnungsergebnisse im Stadtmodell an. Dazu werden die Einstrahlungswerte auf jeder einzelnen Objektfläche (bei Gebäuden die Dach- und Wandflächen) in regelmäßigen Zeitintervallen (z.B. alle fünf Minuten) für ein ganzes Jahr unter Berücksichtigung des jeweiligen Sonnenstands und der Verschattung berechnet. Im Unterschied zu vielen anderen Programmen zur Solarpotenzialanalyse, die auf 2.5D digitalen Oberflächenmodellen (z.B. aus Punktwolken vom Laserscanning oder Stereophotogrammetrie) basieren, werden alle Objekte in 3D repräsentiert und so werden auch die Einstrahlungswerte auf vertikalen Flächen und unter Dachüberhängen korrekt berechnet. Generell wird die Direktstrahlung sowie die Diffusstrahlung berücksichtigt. Die Einstrahlungswerte können zeitlich und thematisch beliebig aggregiert werden (z.B. die monatliche Summe der Globalstrahlung aller Wände jedes Gebäudes). Das Solartool wird mit Fernerkundungsdaten zu dem jeweiligen Ort kalibriert. Eine ausführliche Validierung mit Pyranometermessungen in Potsdam und Freising zeigt eine hohe Genauigkeit der Schätzung.
Unser Solartool wurde bereits für die Durchführung der Solarpotenzialanalysen für die Stadt Helsinki, den London Borough of Barking and Dagenham, die Stadt Rennes sowie projektbezogen für Teile von München, Berlin und Utrecht verwendet. Der offizielle Solaratlas der Stadt Helsinki basiert auf den Berechnungsergebnissen. Im Rahmen des Projekts OGC Future Cities Pilot wurde gezeigt, wie die zeitabhängigen Einstrahlungsdaten (Zeitreihen) auf den einzelnen Gebäudeflächen und den ganzen Gebäudeobjekten unter Verwendung der CityGML Dynamizer ADE den Objekten zugeordnet und ausgetauscht werden können.
Derzeit wird am Lehrstuhl für Geoinformatik untersucht, wie die zunehmend verbreiteten 2,8D-Mesh-Stadtmodelle, wie sie von Google Maps, Apple Maps, Bentley Reality Modeling u.a. eingesetzt werden, zur Erhöhung der Schätzgenauigkeit der Solarpotenzialanalyse genutzt werden können. Die Mesh-Modelle beinhalten zwar nur geometrische und radiometrische Informationen und keine Semantik, allerdings besitzen sie eine hohe geometrische Auflösung. Dadurch, dass derartige Modelle vollautomatisch auf der Basis von Laserscanning oder photogrammetrischen Erfassungsmethoden gewonnen werden können, können sie auch öfters aktualisiert werden. Wir arbeiten an Methoden, die die Teile des Mesh-Modells, die Objekten des semantischen 3D-Stadtmodells entsprechen, einander zuordnen (Matching). Auf diese Weise können Dinge, die im semantischen Modell nicht repräsentiert sind wie z.B. Vegetationsobjekte, Plakatwände oder Masten, die aber in der Realität Objektflächen verschatten, dennoch in der Solarpotenzialanalyse berücksichtigt werden.
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Energiebedarfsschätzung
Schätzung unterschiedlicher Energiebedarfe mit semantischen 3D-Stadtmodellen
Bereits seit 2009 beschäftigen wir uns mit der Frage, welche Rolle semantische 3D-Stadtmodelle in der Abschätzung der Energiebedarfe der Gebäude in Städten spielen können. Von Anfang an haben wir uns auf eine gebäudescharfe Betrachtung fokussiert, d.h. es geht um die Abschätzung der Energiebedarfe für das Heizen, die Kühlung, Warmwasseraufbereitung und Strom für jedes einzelne Gebäude einer Stadt (oder Dorf). Die besonderen Herausforderungen bestehen in der Berücksichtigung des Gebäudetyps und seiner Nutzung, des spezifischen bauphysikalischen Status (u.a. Materialien, Sanierungszustand), der Lage, der Form sowie der Sonnenexposition. Da oftmals spezifische Informationen z.B. über verwendete Baumaterialien oder die Anzahl der Bewohner eines Hauses bzw. einer Wohnung nicht flächendeckend für die Gebäude verfügbar sind, haben wir auch untersucht, wie diese mittels räumlicher und statistischer Verfahren abgeleitet werden können.
Wir haben Methoden entwickelt und realisiert, mit denen wir auf Basis der DIN-Norm 18599-2 sowie der ISO-Norm 13790 gebäudescharfe Abschätzungen der Energiebedarfe im Ist-Zustand durchführen können. Die Methoden wurden als eigenständige Analysemodule sowie auch als interaktive Webanwendungen implementiert und arbeiten direkt auf 3D-Stadtmodellen im CityGML-Schema bzw. auf der 3D-Geodatenbank 3DCityDB. Ein wichtiger berechneter Kennwert ist der Heizenergiebedarf pro Quadratmeter Nutzfläche pro Jahr, der auch im Energiepass jedes Gebäudes ausgewiesen werden muss. Die interaktive Webanwendung erlaubt die unmittelbare Durchführung von „Was-wäre-wenn-Szenarien“. Gebäude können im Webbrowser virtuell energetisch saniert werden, wobei die möglichen Energieeinsparungen und zu erwartenden Kosten geschätzt werden. Die Werkzeuge wurden bereits angewendet für Teile von Berlin (siehe EIT Climate-KIC Projekt Energieatlas Berlin), Teile von London sowie auf die bayerischen Gemeinden Poing und Pullach. In allen Fällen wurden die Schätzungen gegen reale Verbrauchsdaten validiert. Die Werkzeuge dienen insbesondere der strategischen Energieplanung, weil sie es ermöglichen, auch großflächigere energetische Sanierungen z.B. ganzer Quartiere durchzurechnen. So lassen sich etwa Schlüsse daraus ziehen, ob der Energiebedarf soweit gesenkt werden kann, dass eine Versorgung des Quartiers durch ein Blockheizkraftwerk oder mittels Geothermie möglich wird.
Am Lehrstuhl arbeiten wir insbesondere an der Erweiterung bestehender Datenmodelle wie CityGML und Geodatenbanken wie der 3DCityDB für 3D-Stadtmodelle um Eigenschaften und Objektarten, die für die energetischen Analysen und der Speicherung ihrer Ergebnisse erforderlich sind. Fachliche Erweiterungen des CityGML-Standards (sogenannte Application Domain Extensions, ADEs) sind insbesondere:
- CityGML Energy ADE - Anreicherung von Gebäudemodellen um spezifische Attribute und Objekte, die für umfassende energetische Simulationen bis hinunter auf die Ebene einzelner Zonen bzw. Zimmer benötigt werden;
- CityGML UtilityNetwork ADE - topographische und funktionale Modellierung von Ver- und Entsorgungsnetzwerken sowie Telekommunikationsnetzen;
- CityGML Dynamizer ADE - Repräsentation dynamischer Daten (Zeitreihen wie z.B. Energieverbräuche) und Kopplung mit Sensoren wie beispielsweise Smart Meter oder Temperatursensoren.
Nähere Informationen zu diesen CityGML-Erweiterungen finden sich auf der Webseite zu unseren Standardisierungsaktivitäten.
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Modellierung gekoppelter Ver- und Entsorgungsnetze
Die Verteilung von Energie erfolgt über Netze, die sich über Regionen erstrecken. Dabei geht es um den Anschluss und die Verteilung von Strom, Gas und Fernwärme. Allerdings spielen auch andere Netze wie die Frischwasserversorgung und Abwasserentsorgung sowie Telekommunikationsnetze eine wichtige Rolle für das städtische Leben und auch das Funktionieren der Energieversorgung. Bereits seit dem Jahr 2008 befassen wir uns mit der semantischen 3D-Modellierung, Speicherung, Analyse und Visualisierung gekoppelter Ver- und Entsorgungsnetze. In mehreren Projekten haben wir Datenmodelle zur topographischen und funktionalen Repräsentation gekoppelter Ver- und Entsorgungsnetze entwickelt. Aufbauend auf den Modellen wurden Methoden zur Analyse der Netzwerke und ihrer Anfälligkeiten entwickelt. Es wurden Simulationsverfahren zur Bestimmung von Kaskadeneffekten beim Ausfall von Komponenten der Infrastrukturen realisiert. Durch die Kopplung mit anderen Objekten aus 3D-Stadtmodellen wie z.B. den Gebäuden, können bei Ausfällen auch Rückschlüsse auf die Anzahl und Art der betroffenen Einrichtungen und Personen geschlossen werden. Für die Ergebnisse des vom BMBF geförderten Forschungsprojekts SIMKAS 3D - Simulation von intersektoriellen Kaskadeneffekten bei Ausfällen von Versorgungsinfrastrukturen unter Verwendung des virtuellen 3D-Stadtmodells Berlins – wurden wir gemeinsam mit den Projektpartnern mit dem GIS Best Practice Award 2013 des DVW - Gesellschaft für Geodäsie, Geoinformation und Landmanagement e.V. – ausgezeichnet.
Die entwickelten Konzepte sind unter der Bezeichnung CityGML Utility Network ADE als thematische Erweiterung des CityGML-Standards um die Modellierung und 3D-Repräsentation von Ver- und Entsorgungsnetzwerken realisiert. Dabei wird die gleichzeitige und gekoppelte Modellierung unterschiedlicher Arten von Netzen für z. B. Elektrizität, Gas, Fernwärme, Telekommunikation, Frischwasser und Abwasser unterstützt. Funktionale Abhängigkeiten zwischen Komponenten verschiedener Netzwerke können explizit repräsentiert und so für Simulationen von Ausfällen und ihren Kaskadeneffekten genutzt werden. Auch wird die hierarchische Repräsentation von Netzen (beispielsweise Hoch-, Mittel- und Niederspannungsnetz) ermöglicht.
Jede Netzwerkkomponente wird sowohl topographisch als 3D-Objekt als auch mit seinen funktionalen Aspekten inkl. der Netzwerktopologie abgebildet. Damit werden die 3D-Visualisierung, das Monitoring sowie umfangreiche Analysen von Ver- und Entsorgungsnetzwerken realisierbar. Die Generierung von Daten gekoppelter Netzmodelle sowie die automatisierte Ableitung von Simulatordaten u.a. für Trainingssimulatoren waren ebenfalls Gegenstand bisheriger Forschung. Zur CityGML UtilityNetwork ADE sind die Datenmodelle, das XML-Anwendungsschema sowie Testdaten aus Kanada und den Niederlanden im Internet verfügbar (siehe Links unten).
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